Das deutsche Team konnte in der Dressurprüfung drei tolle Runden zeigen und liegt vor der Geländeprüfung mit -74,1 Punkten dem zweiten Platz hinter den sehr starken Briten (-66,7). Der zugeloste Mannschaftsstartplatz Nummer 1 erwies sich im Nachhinein als nicht ganz ideal, da die Pathfinderin Julia Krajewski mit Nickel für ihren Ritt zwar gute Punkte bekam(-26.9/ Platz 15) dennoch wurden die Benotungen in der zweiten Hälfte des Starterfeldes doch deutlich großzügiger. Michi Jung liegt Dank seines phänomenalen Rittes mit PB auf Platz 2 (-17,8). Christoph Wahler rangiert mit Carjatan S und 29,4 Minuspunkten auf Platz 21 und somit immer noch im vordersten Drittel.
Den Auftakt des Tages machte Julia Krajewski mit Sophia Rössels Nickel 21 und eröffnete um Punkt 9:30 Uhr die olympischen Reiterspiele mit ihrem Ritt. Der 10-jährige Holsteiner hat in seinem Leben wohl noch nie so eine Kulisse gesehen, blieb jedoch den ganzen Ritt über ganz sicher bei seiner Reiterin und absolvierte alle Lektionen routiniert und ohne größere Patzer. Eine schwenkbare Fernsehkamera in der Ecke bei C war ihm nicht ganz geheuer, aber Julia machte ihr inneres Bein einmal kurz zu und Nickel setzte seinen Weg im Viereck fort. -26,9 Punkte schienen zunächst eine angemessene Punktzahl, jedoch kamen die Richter insbesondere nach der Mittagspause sehr positiv gestimmt zurück und zückten die 8en, 9en und 10en deutlich bereitwilliger als noch in der Früh bei Julia.
Christoph Wahler und sein Carjatan S (Besitzer: Reiter & Lena Thoenies) haben eine tolle Dressurvorstellung gezeigt die mit – 29,4 Punkten bewertet wurde. Ganze 22 von 64 Starterpaaren knackten in der kurzen Olympiadressuraufgabe die 70%-Marke. Dass die Schritttour im Viereck nicht Carjatans Lieblingslektion ist, ist in Buschreiterkreisen bekannt. Auf der ersten Diagonalen schritt der große Schimmel raumgreifend und sicher im Takt, nach der Wendung zur zweiten Diagonalen hatte Carjatan dann aber genug vom Schritt, wollte schonmal mit dem Galopp loslegen und quietschte und bockte einmal kurz fröhlich. Die Lektion und das Angaloppieren im Aussengalopp kosteten einige wertvolle Punkte. Trotzdem konnten die beide ihre ganze Routine ausspielen und fanden nach dem Patzer wieder in schnell zurück und holten im der Galopptour weitere wichtige Punkte.
Laura Collett setzte die Konkurrenz mit einem brillanten Ritt mit ihrem Sportpartner London 52 unter Druck. Geschmeidig, durchlässig und ausdrucksstark, diese drei Adjektive fassen den Ritt von Collett treffend zusammen. Das Ergebnis von -17,5 ist neuer olympischer Dressurrekord in der Vielseitigkeit sowohl im Einzel als später auch mit dem britischen Team (-66,7). Aber Michi Jung wäre nicht Michi Jung wenn ihn das nicht zusätzlich motiviert hätte es besonders gut zu machen. Er zeigte eine ebenfalls grandiose Dressurvorstellung bei der er und Chipmunk FRH (Besitzer: DOKR, Klaus & Sabine Fischer & Joachim Jung) insbesondere in der schwierigen Galopptour mit wenigen Metern und vielen Galoppwechseln Höchstnoten erreichte. Ein nicht ganz perfektes Halten vor dem Rückwärtsrichten könnten das Zünglein an der Waage gewesen sein, welches zwischen Platz 1 und 2 nach der Dressur entschied. So liegt Jung schlussendlich mit -17,8 Punkten auf Rang 2 nach der Dressur und damit nicht einmal einen Zeitfehler, also eine Sekunde Zeitüberschreitung hinter Collett und dem 15-jährigen London 52. Allerdings muss man Michi zugute halten, dass er bei seinen beiden Olympia-Titeln mit Sam in London und Rio nach der Dressur auch nicht vorne lag. In Tokio führte er nach Teilprüfung 1 und wir alle kennen die Geschichte mit dem ominösen MIM-Pin der Michi und Chipmunk damals die Goldmedaille kostete.
Und unser Reservist Calvin Böckmann? Der stand pünktlich zu jedem Ritt der Deutschen mit dem Team in der Kiss and Cry Zone und zitterte mit seinen Teamkameraden. Sein The Phantom of the Opera wurde im Springsattel locker in der Zelt-Reithalle gearbeitet und bei Laune gehalten. Rein theoretisch könnte er bei einem gesundheitlichen Problem von einem der drei anderen Paare noch bis Sonntag vormittag um 8:30 Uhr für den Geländeritt gegen eine Strafpunktgebühr von 20 Fehlerpunkten eingewechselt werden.
Der Tag in Versailles wurde für alle Beteiligten von anhaltenden bzw. wiederkehrenden Regenschauern begleitet. Auch wenn dies den Leistungen der Reiter keinen Abbruch tut, war es schade, dass das offiziell als ,,ausverkauft“ geltende Stadion während des ganzen Tages kein einziges Mal auch nur annähernd voll belegt war. Dennoch: Die Fans vor Ort ließen sich die gute Laune von ein paare Regentropfen nicht verderben und feuerten alle Paare lautstark an und feierten mit Fahnen und Plakaten bewaffnet ihre Favoriten. Zur Siegervorstellung des Tages von Laura Collett und London 52 war das Stadion schätzungsweise ca. zu 3/4 gefüllt. Nachmittags nahmen die Zuschauerzahlen mit jedem weiteren Schauer Stück für Stück weiter ab. Bleibt nur zu hoffen, dass die Zuschauer am Sonntag beim Geländeritt mit vorausgesagten 25 Grad etwas mehr Durchhaltevermögen zeigen.
Zwischenergebnisse nach der Dressur – Einzelwertung & Team
Startzeiten Gelände für Team Deutschland
- 10:30 Uhr Julia Krajewski und Nickel
- 12:06 Uhr Christoph Wahler und Carjatan S
- 13:42 Uhr Michael Jung & Chipmunk FRH
Live-Übertragung
- ZDF & ZDF-Mediathek
- Eurosport
- Discovery +
Die Geländestrecke
Die Bestzeit auf der 5149 Meter langen Strecke beträgt 9:02 Minuten. Es sind 28 Hindernisse mit 41 Sprüngen auf dem direkten Weg zu überwinden. Der Kurs wird einhellig von den Reitern und Trainern als „Kunstwerk“ bezeichnet. Die Aufgaben sind anspruchsvoll, aber clever gebaut und über die Strecke verteilt. Der Technische Delegierte zeigte sich am Samstag vormittag bezüglich des Bodens positiv: ,,Wir arbeiten seit zwei Jahren an der Strecke, also auch am Boden. Daher bin ich mir sicher, dass sie Strecke morgen sehr gut zu reiten sein wird. Die Strecke ist komplett fertig, der letzte Tage heute wir nur nochmal genutzt, um den Boden bestmöglich zu präparieren.“
Die Geländestrecke auf der Cross Country App
Fotos: Stefan Lafrentz Pferdefotografie