Wie Christoph Wahler am 18. Obtober bekanntgibt, wird er mit seinem langjährigen Toppferd Carjatan S nicht mehr gemeinsam aus der Startbox galoppieren. Der 15-jährige Holsteiner wird gesund aus dem Hochleistungssport verabschiedet und soll nun die Jahre im ,,Vorruhestand“ als Lehrmeister mit Nachwuchsreiter Justus von Paepcke im Juniorenbereich an den Start gehen.
Der großrahmige Schimmel erblickte Anfang April 2009 bei seinem Züchter Carl-Friedrich Söhrmann in Groß Buchwald zwischen Neumünster und Kiel das Licht der Welt. Seine Mutter Kajenna stammt ab vom Vollbüter Galant Vert xx. Interessanterweise brachte diese neben Carjatan S noch weitere im Sport erfolgreiche Nachkommen zur Welt unter ihnen Cayendro von Castellini, der im internationalen Voltigiersport seine Zirkel drehte. Carjatan stammt väterlicherseits ab vom Holsteiner Clearway, der international im Springsport für Dänemark erfolgreich war und von dem über 300 Nachkommen international bei der FEI registriert sind.
Der in Norddeutschland ansässige ungarische Springreiter Krisztian Orban absolvierte mit dem damals noch deutlich dunkleren Carjatan S fünfjährig die ersten Springpferdeprüfungen in der Klasse A und L. Bereits dort stach er heraus und konnte in seiner ersten Saison die ersten Siege verbuchen. Im Herbst war er dann Teil der Top Eventers Kollektion von Elmar Lesch und ging unter Christoffer Forsberg seine erste Geländeprüfung, die er auf Anhieb gewinnen konnte. Christoph war 2014 gerade einmal 20 Jahre jung und gemeinsam mit seinem Vater Burkhard Wahler auf der Suche nach einem Pferd, welches ihm potenziell nach der Junge Reiter Zeit auf dem Weg in den Top Sport begleiten konnte. 2014 war Christoph im Sattel von Green Mount Flight bei der U21 EM im portugiesischen Vale Sabroso Fünfter geworden und gewann mit dem Team die Silbermedaille. Aber zurück zu Carjatan: Nach dem Studieren der Videos und einem kurzen Ausprobieren in Bavendorf war klar, dass es der großrahmige Schimmel mit einem Vollblutanteil von etwa 60% werden sollte. Nach einem längeren Bieterduell bei der Auktion bekam Familie Wahler den Zuschlag und Carjatan zog Ende fünfjährig auf den Klosterhof Medingen ein, wo die vielseitige Grundausbildung so richtig begann. Doch obwohl der Schimmel sich auch sechsjährig stetig weiterentwickelte, hatten ihn wohl zu diesem Zeitpunkt noch wenige Vielseitigkeitsenthusiasten auf dem Schirm. Carjatan war zu Beginn seiner Buschkarriere nämlich noch unsicher was das Thema fremde Wasser anging und somit waren die beiden in den Ergebnislisten noch nicht auf Anhieb ganz oben zu finden.
Ende 2015 begann dann jedoch Christophs Zeit bei der Perspektivgruppe Vielseitigkeit in Warendorf und Carjatan profitierte vom Training am DOKR und insbesondere von der Zusammenarbeit mit Rüdiger Schwarz. Rüdiger Schwarz war von Anfang an ein Fan von Carjatan und legte im Geländetraining den Grundstein für die späteren großen Erfolge. Endlich machte es ,,Klick“ und Wassereinsprünge waren danach nie wieder ein Thema bei den beiden. Siebenjährig ging es dann erstmals international an den Start und der Aufstieg der beiden konnte sich sehen lassen: 2016 ging Carjatan S sechs internationale Prüfungen und beendete alle Prüfungen ohne Hindernisfehler im Gelände innerhalb der Top 10. Durch Platz 9 in seiner ersten CIC2* (heute CCI3*-S) in Langenhagen war er sogar formell für die WM in Le Lion D’Angers qualifiziert. Jedoch entschied sich Christoph gegen einen Start in Frankreich, schließlich hatte Carjatan zu dem Zeitpunkt gerade einmal zwei Jahre Grundausbildung im Gelände hinter sich und insbesondere seine aufwändige Galoppade war noch nicht optimal trainiert für solch lange und schwere Prüfungen. Achtjährig gewannen die beiden dann gleich drei internationale 2*-Prüfungen (heute 3*) hintereinander und Carjatan reifte körperlich und mental immer weiter, wenngleich Christoph insbesondere in der Dressur immer wieder sehr viel Fingerspitzengefühl beweisen musste, denn seine Nachwuchshoffnung wurde im Viereck immer wieder innerlich nervös, was sich in einigen Lektionen natürlich auch auf die Punkte auswirkte. Neunjährig gelang dann der Sprung auf 3*-Niveau und zum krönenden Jahresabschluss beendeten sie die Nationenpreisprüfung in Boekelo auf Platz 16 und konnten damit dem deutschen Team zum Mannschaftssieg verhelfen.
Durch die beständigen Erfolge in verschiedenen schweren Prüfungen wurden C & C für 2019 in den Perspektivkader Vielseitigkeit berufen und konnte im gleichen Jahr ihren ersten Sieg auf 4*-Niveau feiern: Im britischen Houghton Hall gewannen die beiden die Einzelwertung in der CCIO4*-S und konnten außerdem mit dem Team erneut ganz oben auf dem Treppchen stehen. Im Herbst 2019 war es dann endlich soweit: Bei der Vielseitigkeitseuropameisterschaft auf heimischem Boden in Luhmühlen gehen die beiden erstmals bei einem Championat für Deutschland an den Start. Auch für Christoph ist es mit gerade einmal 25 Jahren das erste internationale Championat im Seniorenlager. Die beiden liefern ab und platzieren sich am Ende des Turniers in den Top 20. Aufgrund der zahlreichen Erfolge blieben natürlich auch Kaufanfragen nicht aus und ein möglicher Verkauf stand zwischenzeitlich aufgrund von sehr guten Angeboten im Raum. Zur richtigen Zeit kam eine langjährige Freundin der Familie, Lena Thoenies auf den Plan und wurde Mitbesitzerin von Carjatan. Dank der großzügigen Unterstützung konnte das eingespielte Team dauerhaft bestehen bleiben. Nachdem die Saison 2020 aufgrund des Coronavirus ihre ganz eigene Dynamik annahm, wollten die beiden Ende des Jahres den nächsten Meilenstein in ihrer Karriere in Angriff nehmen: Die erste 5*-Prüfung in Pau, sowohl für Christoph, als auch für Carjatan. In der Dressur lief alles nach Plan – Platzierung innerhalb der Top 10. Doch am Morgen des Geländetages hat Carjatan auf einmal ohne erkennbaren Grund ein angelaufenes Bein und Christoph entschied kein Risiko einzugehen und kehrte in den heimatlichen Stall zurück, deren Leitung er zwischenzeitlich von seinem Vater Burkhard Wahler übernommen hatte.
Nach der Verschiebung durch das Coronavirus wird 2021 das neue olympische Jahr. Carjatan ist nun 12 Jahre alt, körperlich sowie mental ausgereift, kann mittlerweile immer konstantere Dressurergebnisse abliefern und sein Potenzial abrufen. Da nur noch drei Teamreiter zugelassen sind, ist die Luft an der Spitze extrem dünn und für eine mögliche Nominierung müssen Top Ergebnisse geliefert werden. Die beiden sind unter den acht deutschen Paaren, die es auf die Longlist für Tokio geschafft haben. Christoph entscheidet sich nach Absprache mit den Bundestrainern dafür, dass er und Carjatan in Luhmühlen noch einmal die Mission 5* in Angriff nehmen wollen. Der Plan geht auf und mit tollen Nullrunden im Gelände und im Springen belegen die beiden mit ihrem Dressurergebnis Platz 2. Am Ende verpassen sie ihr Ticket Richtung Tokio denkbar knapp mit dem Los der zweiten Reserve – der erste Reservist (Andreas Dibowski mit Corrida) flog als Traveling Reserve mit nach Japan. Doch auch wenn die Enttäuschung über die Nominierungsentscheidung mit Sicherheit zunächst noch präsent war, so tauchte am Horizont bereits das nächste Saisonhighlight auf: Avenches erklärte sich recht kurzfristig bereit die Europameisterschaften der Vielseitigkeit 2021 unter Coronabedingungen auszurichten. Das eingespielte Team ging an den Start und erreichte Platz sieben in der Einzelwertung, eine weitere Topplatzierung auf ganz hohem Niveau.
2022 erfüllte sich Christoph dann einen langgehegten Traum: Mit Carjatan ging es erneut ins Mutterland der Vielseitigkeit nach England und die beiden bewältigten den vielleicht schwersten Geländekurs der Welt, nämlich die CCI5*-L bei den Badminton Horse Trials mit einer phänomenalen Geländerunde nur wenige Sekunden oberhalb der Bestzeit. Immer an Carjatans Seite: Christophs langjährige Pferdepflegerin Lilly Kirchheim, die sich sowohl zuhause als auch auf dem Turnier um ihren Liebling kümmert und dem Star im Stall eine extra Portion Aufmerksamkeit zukommen lässt. In Badminton wird ihre unermüdliche Arbeit gewürdigt und sie erhält den Groom Award für das am Besten herausgebrachte Pferd beim Vet-Check. Carjatan waren vor Badminton noch nie mehr als zwei Abwürfe in Springprüfungen unterlaufen und eine Top 10 Platzierung lag nach der super Runde im Busch in greifbarer Nähe. Jedoch sollte es an dem Tag einfach nicht sein: 12 Strafpunkte schlugen zu Buche, sodass sie am Ende Platz 22 in einem Starterfeld von 83 Teilnehmern belegen konnten. Nach der wohlverdienten Pause im Anschluss an die Reise nach Badminton schlug im September 2022 endlich die große Stunde für beide: Sie wurden dank der beständigen Erfolge in den schwersten Prüfungen der Welt in das deutsche WM Team in Pratoni del Vivaro (ITA) berufen. Als Pathfinder legten die beiden dort den Grundstein für die deutsche Mannschaftsgoldmedaille und Carjatan konnte einmal mehr beweisen was für ein treuer Gefährte er ist: Auch wenn ihm zum Ende der hügeligen Geländestrecke etwas Power fehlte, galoppierte er tapfer nach Hause und sprang obendrein am letzten Tag ,,Null“ im einflussreichen Parcours, der das gesamte Klassement noch einmal durcheinander wirbelte. Zu einer Art Deja Vue kam es im darauffolgenden Jahr bei den Europameisterschaften in Haras du Pin in Frankreich: In den Tagen vor dem Gelände hatte es heftig geregnet, sodass der Boden der Geländestrecke vielerorts aufgeweicht war. Nicht unbedingt optimales Terrain für den eher aufwändig galoppierenden Carjatan. Doch auch hier bewies er einmal mehr sein Kämpferherz und galoppierte zu Teamsilber und schrammte mit Platz 4 nur knapp an einer Einzelmedaille vorbei.
2024 stand dann ganz im Zeichen der olympischen Ringe: Carjatan, nun 15-jährig, ist mitunter das erfahrenste und zuverlässigste Pferd, welches man in Deutschland in der Vielseitigkeit findet und somit erhielten die beiden nach einem Sieg in der 4*-Prüfung in Baborowko und einem letzten Testlauf in Aachen einen der begehrten Startplätze im olympischen Team. Doch obwohl die beiden in ihrer Karriere schon viele Hochs und auch einige Tiefs gemeinsam erlebt haben, so hätte man sich für das absolute Nonplusultra, nämlich die olympischen Spiele in Paris einen anderen Ausgang für die beiden gewünscht. Carjatan trat nach einer tollen ersten Hälfte des Geländerittes mit der Hinterhand in einen offenen Graben und strauchelte in Folge kurz, sodass Christoph aus dem Sattel kam und innerhalb von Sekundenbruchteilen der Olympische Traum der beiden zerplatzte. Doch das wichtigste: Die beiden waren unverletzt und konnten Dank der neuen Regelung am letzten Tag sogar noch das Mannschaftsspringen bestreiten. Hier legten die beiden in gewohnt sicherer Manier eine Nullfehlerrunde hin, ohne dass man ahnen konnte, dass dies der letzte große Auftritt des Dreamteams sein würde.
Nun hat Christoph gemeinsam mit Carjatans Mitbesitzerin Lena Thoenies entschieden, ihn Ende 15-jährig fit aus dem Hochleistungssport zu verabschieden und ihn in den kommenden Jahren nur noch auf moderatem Niveau zu belasten. Ein passender Reiter ist auch schon gefunden: Justus von Paepcke ist 14 Jahre jung und der Enkel von Christa von Paepcke, der Züchterin von Christophs zweitem 5*-Buschpferd D’Accord FRH. Justus konnte in diesem Jahr für den Landesverband Schleswig-Holstein beim Bundesnachwuchschampionat in der Vielseitigkeit an den Start gehen und hat auch bereits auf seinem bisherigen Buschpferd seine erste CCI1*-Intro Prüfung erfolgreich bestritten. Nach einem ersten erfolgreichen Probereiten auf dem Klosterhof ist Carjatan kürzlich nach Lehmkuhlen umgezogen, wo er nun quasi in der Nachbarschaft seiner Zuchtstätte von Carl Friedrich Söhrmann über die Weiden galoppiert und sich mit Justus auf die Juniorentour im kommenden Jahr vorbereitet.
Dennoch bleibt er weiterhin im Besitz von Lena Thoenies und Christoph Wahler. Für seine Rente soll Carjatan in einigen Jahren auf den Klosterhof zurückkehren.